Am 28. Februar 1972 war der sog. Radikalenerlass vom Bund (SPD/FDP Regierung unter Kanzler Willy Brandt) und den Ländern beschlossen worden. Ab diesem Zeitpunkt wurde bei allen, die sich im Staatsdienst bewarben, eine „Regelanfrage“ beim Inlandsgeheimdienst (Verfassungsschutz) getätigt. Auch bereits in einem Beschäftigungsverhältnis Befindende wurden überprüft. Die Überprüfung erfasste bundesweit ca. 3,5 Millionen Personen. Ca. 11000 davon mussten sich einem Anhörungsverfahren, das sich oft über Monate und Jahre hinzog, unterziehen. Etwa 1250 Lehrer und Hochschullehrer erhielten Ausbildungs- bzw. Berufsverbot. Auch andere Berufe waren betroffen (Post, Bahn etc.) Dazu kamen 260 Staatsbedienstete, die entlassen wurden. Die Regelanfrage wurde ab 1985 sukzessive abgeschafft, zuletzt 1991 in Bayern. Inzwischen wird der sog. Radikalenerlass als Mittel der Disziplinierung - vor allem in Bayern - wieder praktiziert, wie z.B der Fall von Lisa Poettinger zeigt.
Meine eigenen Erfahrungen vor einem halben Jahrhundert
Nach meiner 1. Lehramtsprüfung am Erziehungswissenschaftlichen Fachbereich der Uni Regensburg im Februar 1975, wurde ich zum Referendariat dem Regierungsbezirk Oberpfalz zugeteilt und erhielt einen Beschäftigungsauftrag an der Volksschule in Freystadt bei Neumarkt („begrüßen Sie sehr herzlich in den Reihen der Lehrerschaft des Regierungsbezirkes“). Am 2.Mai, dem Tag der Vereidigung, musste ich unverrichteter Dinge das Schulamt in Neumarkt verlassen, war doch, wie ich später erfuhr, der Inlandsgeheimdienst in meiner Angelegenheit fündig geworden. Wochen später fand bei der Regierung der Oberpfalz eine sog. Anhörung statt, die die gesammelten Erkenntnisse des Inlandsgeheimdienstes zum Gegenstand hatte. Dass auch Erkenntnisse des MAD (Militärischer Abschirmdienst) herangezogen wurden, ergab sich aus dem Vorwurf, ich hätte während meiner Bundeswehrzeit am Internationalen Kongress „Jugend gegen Kriegsdienst“ teilgenommen.
Dass die Vorwürfe als nicht besonders gerichtsverwertbar eingestuft wurden, sind einem Schriftwechsel der Regierung der Oberpfalz mit dem Kultusministerium vom Juni 1975 zu entnehmen. Darin heißt es u.a.: „Deshalb kommt die Regierung bei einer Würdigung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass ernste Bedenken gegen die Verfassungstreue des Bewerbers nicht in einer Weise, die einer Nachprüfung durch das Verwaltungsgericht standhielte, zu erheben sind.“ Die oberpfälzer Regierung war also eher einer positiven Entscheidung zugeneigt und bat „um Mitteilung, ob mit der beabichtigten Sachbehandlung Einverständnis besteht“. Daraus aber den Schluss zu ziehen, die Regierung der Oberpfalz in Person von Oberregierungsdirektor Dr. Föttinger, würde die Angelegenheit ganz zu den Akten legen, würde dem Sachverhalt nicht gerecht. Man schlug nämlich vor, „den Bewerber in den Vorbereitungsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf aufzunehmen“. Und jetzt kommt‘s: „Selbstverständlich wird die Regierung auch weiterhin bemüht sein, über Schulleiter, Seminarleiter, Schulrat und auf jede sonst geeignete Weise sich sich darüber zu informieren, ob die von hier gestellte Prognose berechtigt war.“ Das Kultusministerium in München dachte aber nicht daran, vorschnell nachzugeben und spielte auf Zeit.
Neuer Vorwurf: Streikbeteiligung
Ein neuer Vorwurf kam auf den Tisch. Jetzt sollte ein Hochschulstreik Zweifel an meiner Verfassungstreue begründen. Was war passiert? Vor dem Verwaltungsgericht Regensburg war in den Jahren 1973 und 74 vor dem Verwaltungsgericht Regensburg wegen eines Hochschulstreiks verhandelt worden. Ich war nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge geladen. Dazu aus einem Schreiben der Regierung der Oberpfalz an das Kultusministerium: „Aus der Begründung (des Urteils) vom 13.2.1974 geht hervor, dass der damalige Student Elas offensichtlich in seiner Eigenschaft als Mitglied des AstA-Vorstandes* als Streikposten eingesetzt war. Darüber hinaus ist ersichtlich, dass er offenbar mit einer Reihe anderer Streikposten einer Aufforderung des Dozenten zum Verlassen des Hörsaales innerhalb von 3 Minuten nicht folge geleistet habe.“
Ende August, der neue Anstellungstermin war in Sichtweite, teilte die zuständige Regierung mit: „Die mit Ihrem Einstellungsgesuch befassten Behörden sind bemüht, die Angelegenheit baldmöglichst, nach Möglichkeit in einigen wenigen Wochen zum Abschluss zu bringen.“ Und wieder passierte wochenlang nichts. Alternativ bewarb ich mich in dieser Zeit bei verschiedenen privaten Einrichtungen, wurde aber entweder als überqualifiziert oder ohne Begründung abgelehnt.
Erst als meine Geduld zu Ende war, und ich im November einen Rechtsbeistand mit der Unterstützung der GEW einschaltete, kam Bewegung in die Angelegenheit. Der Rechtsanwalt bot der Regierung eine „außergerichtliche Lösung“ an und setzte dafür eine Frist bis zum 15. Januar 1976. Sollte die Regierung bis dahin bockig sein, könne „eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht vermieden werden“. Dem Briefwechsel zwischen Regierung und Kultusministerium ist zu entnehmen, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung für die Behörde als wenig aussichtsreich eingeschätzt wurde.
Und so erhielt ich noch im Januar ein Schreiben „Betreff Einweisung in den Vorbereitungsdienst“. Nach neun Monaten der Unsicherheit und des Hinwartens konnte ich nun am 2. Februar 1976 meinen „Beschäftigungsauftrag an der Volksschule in Postbauer-Heng, Lkr. Neumarkt i. d. Opf.“ entgegennehmen. Dieses Kapitel war abgeschlossen. Ein neues konnte beginnen.
Neue Schikanen
Aber wie hieß es im Vorschlag der Regierung? Man werde „auch weiterhin bemüht sein, über Schulleiter, Seminarleiter, Schulrat und auf jede sonst geeignete Weise sich darüber zu informieren….“ Was sie auch ausgiebig taten. Die Jahre und Jahrzehnte, die dann folgten, waren nicht lustig. Dienstliche Beurteilungen mit entsprechenden Bewertungen, Disziplinarverfahren und diverse sonstige Schikanen blieben nicht aus. Sie belasteten den schulischen Alltag, stärkten aber mein Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern, ebenso zu den Eltern. Wie hieß es doch in der dienstlichen Beurteilung vom Juli 1986: „Der Beamte vertritt seine Ansichten bestimmt und ordnet sich – z.T. mit Bedenken – dienstlich unter, sieht seine Dienstvorgesetzten jedoch skeptisch, kritisch-distanziert.“
Na ja, ganz so war das nicht mit allen Dienstvorgesetzten. Aber mit dem Schulrat/Schulamtsdirektor Langheinrich, der dies formuliert hatte, verband mich über viele Jahre eine gegenseitige tiefe Abneigung, die nicht zuletzt einen politischen Hintergrund hatte. Es ging nicht nur um unterschiedliche Auffassungen in verschiedenen Fragen der Bildungspolitik. Ich hatte diverse ehrenamtliche Funktionen in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf verschiedenen Ebenen.
Meine Politisierung war nicht zuletzt geprägt vom Vietnamkrieg, dem Völkermord der US-Militärs und ihrer Verbündeten in Vietnam, ein Vorgehen, das von den herrschenden Kreisen hierzulande – vorsichtig formuliert - nicht infrage gestellt wurde. Diese Zusammenhänge offen zu thematisieren, war nicht gerade karrierefördernd. Genau vor 50 Jahren endete der dreißigjährige Krieg mit einer Niederlage der USA und Millionen Toten. Hat man etwas daraus gelernt?
* Der Vorwurf, dass ich „Mitglied des AStA-Vorstandes“, gewesen sein soll, zeigt, wie schludrig die bezahlten Schlapphüte gearbeitet haben. Zum einen war ich nie Mitglied des AStA (Allgemeiner Studentenausschuss). Und beim AStA gab es keinen Vorstand. Ich war Mitglied im Fakultätsrat, der hatte aber nichts mit dem AStA zu tun